Greiz hat Reiz







Greiz -
kleinste Monarchie im Kaiserreich
konservatives Fürstentum der Extreme
Park- und Schlossstadt
Perle des Vogtlands





Wer die größte Ziegelsteinbrücke der Welt für Eisenbahnzüge,



die Göltzschtalbücke,



gesehen hat, fährt weiter nach Greiz, einem Städtchen nahe der thüringisch-sächsischen Grenze mit etwa 23.000 Einwohnern, Kreisstadt, die zwei Residenzen mit drei Drachen beherbergt, malerisch am Ufer der Weißen Elster gelegen, eingebettet in die idyllische Hügellandschaft des Vogtlandes.









Als man in der Schule noch deutsche Geschichte mit guten Ergebnissen lehrte, lernen die Schüler, dass einer der 25 Staaten (mit immerhin 40.000 Einwohnern) des 2. Deutschen Reiches das Fürstentum Reuß ä. L. (zu deutsch älterer Linie) mit der Hauptstadt Greiz ist.
Unter älterer Linie konnten wir uns wenig vorstellen, aber wenn man (ohne zu googeln) das tscheckte, stellt man fest:

Heinrich XXII. (1846 - 1902)

Reuß älterer Linie ist ein Hauptzweig des Hauses Reuß, das 1768 entsteht aus der Vereinigung von Obergreiz und Untergreiz. Im Krieg 1866 ist Reuß ä. L. aufgrund historischer Verbindungen und dynastischer Beziehungen auf Seiten Österreichs, aber das Fürstentum liegt abseits der kriegerischen Geschehnisse, mit 100.000 Talern an Preußen ist die Sache gegessen.
Reuß ä. L. war immer sehr konservativ und ein Bollwerk orthodoxen Luthertums, 1867 führt es als letzter Staat Thüringens die konstitutionelle Monarchie ein. Fürst Heinrich XXII. versucht dennoch, seine absolutistische Regierungsweise fortzuführen, sein Verhalten gegenüber Preußen kennzeichnet Abneigung und Feindschaft, so dass die Presse ihn „der Unartige“ tauft.



An der Kaiserproklamation in Versailles nimmt er nicht teil, ist weder mit Rüstungs- noch Außenpolitik des Reichs einverstanden, als einziger Bundesstaat stimmt Reuß ä. L. gegen China-Expedition, Kolonialetat, Zivilehe, BGB, Kulturkampf- und Sozialistengesetze.
Das Reichsseuchengesetz empfindet Heinrich XXII. als nutzlose Centralisationsmaßregel, wie sie widerwärtiger kaum erdacht werden könnte. Das fehlte uns gerade noch zur Glückseligkeit, das die Medicinalpolizei in Reichshände überginge und auch noch auf diesem Gebiete die Schnüffelei, Stänkerei und Chicane ihren Einzug hielten.

Hermine und Wilhelm

Ironie der Geschichte: Hermine, Tochter Heinrichs XXII., wird 1922 die zweite Frau des Preußen und Ex-Kaisers Wilhelm II.!
Das Fürstentum Reuß ä.L. ist ein Staat der Extreme, als einziger deutscher Staat 1910 ohne Schulden und als einziger Staat bis 1879 ohne Schule mit Abitur.
1864 wird in Greiz der erste mechanische Webstuhl aufgestellt, bis zur Jahrhundertwende gibt es über 1.000 Webereien in der Stadt. Heinrich XXII. befördert die Ansiedlung von Fabriken, obwohl er damit den Anblick vieler Schornsteine vom Blauen Salon oder Weißen Saal seines Schlosses in Kauf nehmen muss, wegen der Färbereien verkommt die Gräßlitz, Nebenfluß der Weißen Elster, zu einer bunten und stinkenden Kloake.
Heinrich XXII. ist ein sparsamer Monarch, veranstaltet keine kostspieligen Hofbälle und gründet kein Hoftheater. Wenn er einen Kuraufenthalt oder Sommerurlaub in Saßnitz bucht, lässt er sich mehrere Angebote unterbreiten und mietet dann inkognito das kostengünstigste Quartier.





Argwöhnisch beobachtet er, ob die Laternen rechtzeitig gelöscht sind und schickt manchmal einen Diener, um jede zweite auszuschalten.
Als Anhänger Jean Jacques Rousseaus liebt er die Natur, das heute nur noch in Resten erhaltene Jagdschloss "Ida-Waldhaus" entsteht und Greiz verdankt ihm einen bezaubernden englischen Landschaftsgarten.
1902 endet mit dem Tod von Fürst Heinrich XXII. die Regentschaft der älteren Linie, weil sein Sohn geisteskrank und regierungsunfähig ist, fällt sie an Fürst Heinrich XIV. (Reuß jüngerer Linie). Ab 1908 regiert dessen Sohn



Heinrich XXVII.

beide Fürstentümer in Personalunion bis 1918.
Nach der Novemberrevolution 1918 wird Reuß ä. L. ein Freistaat, der sich 1919 mit dem Freistaat Reuß j. L. zum Volksstaat Reuß mit der Hauptstadt Gera vereinigt, der wiederum 1920 im Land Thüringen aufgeht.



Oberes und Unteres Schloss prägen das Stadtbild von Greiz.
Wahrzeichen der Stadt ist das Obere Schloss.









Von Süden aus erscheint es als einfaches "Hohes Haus".
Die wirkungsvollen Renaissancegiebel des Ostflügels lassen den schlossartigen Charakter der Anlage erahnen, vom Norden und Westen wirkt es wie eine mittelalterliche Burg.



Seit 1994 speien auch die nach historischem Vorbild rekonstruierten Drachengestalten wieder Wasser, vom darunterliegenden Schanzengarten öffnet sich ein weiter Blick auf die Stadt.

1809 ziehen die Fürsten in das Untere Schloss, das Obere wird Sitz der Regierungsbehörden des Fürstentums und beherbergt viele viele Wohnungen - bis heute. Seit 1991 saniert und restauriert es die Stadt.



Horst Oschmann aus Waldenburg hat das Obere Schloss im Maßstab 1:250 aus Papier und Pappe in 6 Monaten geduldiger Arbeit nachgebaut. (Die Göltzschtalbrücke oder das Blaue Wunder hat er ebenfalls nachempfunden).



Seit 1809 ist das Untere Schloss direkt am Fluss nach dem verheerenden Brand im klassizistischen Stil wieder aufgebaut.

Glanzstück ist der ehemalige Festsaal – Weißer Saal – mit seinen wertvollen Stuckaturen.



Auch nach dem Ende der Monarchie in Deutschland residiert im Unteren Schloss das Mitglied der ehemals herrschenden Fürstenfamilie weiter:
Heinrich XXIV., infolge eines Unfalles an einer unheilbaren Hirnschädigung erkrankt, genießt hier bis zu seinem Tod 1927 Wohnrecht.



Blauer Salon



Bad- und Schlafzimmer

1929 eröffnet in der Beletage des Schlosses das Heimatmuseum seine Pforten und zeigt die Geschichte des Hauses Reuß Älterer Linie und der Stadt Greiz.



Beim Unteren Schloss und der Stadtkirche liegt die Hauptwache, heute Touristinfo, und daneben vollendet das dreigeschossige und -flügelige Lyzeum die klassizistische Stadtsilhouette am Elsterufer.



Die Blumenuhr im Greizer Park, einer der schönsten Landschaftsparks Deutschlands im englischen Stil, den treuergebene DDR-Genossen in „Leninpark“ umbenennen, ist ein beliebtes Postkartenmotiv.
Dort befindet sich das Sommerpalais.



Schlösschen im Greizer Park, mitteldeutscher Frühklassizismus ...
Tagebucheintrag von

Heinrich XI. Reuß (1722 - 1800)
14. Mai 1789:
mit Gemahlin Alexandrine, wie immer, vom Oberen Schloss ins "Maison de belle retraite" umgezogen, um dort den Sommer zu verbringen, seit 21 Jahren "le plus beau amusement du monde".
1740 bis 1742 bereist Fürst Heinrich XI. Deutschland, Frankreich und Italien und bekundet mit dem Sommerpalais sein Interesse an moderner Architektur. Er beabsichtigt die Verbindung von Orangerie, Repräsentations- und Wohnräumen in einem Gebäude.



Die dreigeschossige Anlage mit Erdgeschoss, Beletage und Mezzanin trägt ein flaches Satteldach mit Rundfenstern.



1918 wird das Schloss Staatseigentum, 1919 übergibt das Fürstenhaus Kupferstichsammlung
und Bibliothek als "Stiftung der Älteren Linie des Hauses Reuß" und 1922 öffnet das Museum
"Staatliche Bücher- und Kupferstichsammlung Greiz".




Unmittelbar neben der Sommerresidenz befindet sich das Küchenhaus, heute ein Café.















Meine Mutter war Christin, mein Vater Parteimitglied. Ich betete, daß die Algerier sich von den Franzosen befreien.

In der Schule war ich der Klassenkasper. Meine Lieblingsfächer waren Erdkunde, Deutsch und Geschichte.

Im Strome der Beatles gründeten wir eine Kapelle. Ich übernahm Vaters Schlagzeug, sang, komponierte und textete eigene Songs. Nachdem der Kapellennamen „the rats“ verboten wurde, nannten wir uns „media nox“. Die Band, die mehrfach unter Auftrittsverbot stand, entwickelte sich vom Beat über Blues und Soul zum Modern Jazz. Und spielt heute immer noch.

Kurz vor dem Abi begann ich mit Schreiben und Malen. Ich schrieb meist Gedichte und malte vor allem abstrakt. Davon wusste lange Zeit außer den Freunden kaum jemand. In der Armeezeit entdeckte ich die Expressionisten für mich. Sie nahmen Einfluss auf meine Dichtung. Im Alter von 23 Jahren beging mein jüngerer Bruder Gerhard Selbstmord.

Zu meinen 50 Geburtstag verpasste mir die Stadt Greiz die Bürgermedaille.

Ich schaue zurück,
ich schaue das heute,
ich schaue nach vorn ...


Er fällt bei den DDR-Behörden in Ungnade aufgrund eigenwilliger Texte.
Beim Zusammenbruch der DDR gerät er in ökonomische und existentielle Not. Der sensible Künstler leidet wegen der erlittenen Repressionen unter Verfolgungswahn.
Er überlebt zwei Suizidversuche.
Persönliche Schicksalsschläge, ständige Überwachung und Publikationsverbot machen ihn krank.
Erst nach der Wende kann er seine Werke veröffentlichen, so etwa "Steinlicht", "Kirschbaum vorm Fenster" oder "Schwarze Schafe lesen Camus". Seine Lyrik und Aphorismen sind in vielen Schulbüchern veröffentlicht. Zahlreiche weitere Bücher erscheinen, darunter einige speziell mit Kindergedichten.
Der von der Stasi verfolgte Schriftsteller lässt sich in den 80jahren die Zähne ziehen, weil er glaubt, dass ihm die Zahnärzte auch Abhörgeräte eingesetzt hätten. Nachzulesen in den verschiedenen Biografien Ibrahim Böhmes, mit dem er eng befreundet ist. Und hat ihn doch für die Stasi ausgespitzelt.

Die Rede ist von



Günter Ullmann,

Schriftsteller, Musiker und bildender Künstler aus Greiz. Aber das ist ein anderes Fundstück ...







Herbstwind

Erst spielt der Wind nur Fußball
mit Vaters bestem Hut,
dann schüttelt er die Bäume,
die Blätter riechen gut,
und lässt die Drachen leben
und wringt die Wolken aus.
Der Herbstwind lässt uns beben,
wir gehen nicht nach Haus.
(Günter Ullmann)

Übersetzungen:
ARCEM MDCCCII INCENDIO DIRUTAM
RESTITUIT PRINCEPS HENRICUS XIII SEN RUTH
(lat.: Das durch den Brand 1802 zerstörte Schloß
hat Fürst Heinrich XIII. Reuß (ä.L.) wiederhergestellt.

Maison de belle retraite
(frz.: Haus des schönen Rückzugs)
le plus beau amusement du monde
(frz.: das größte Vergnügen der Welt)