Mini-Kosmos


Ashraf Ghani Ahmadsai


Tagesschau 21.9.2014


Afghanistan -
total gescheitert
Wer verteidigt jetzt die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland am Hindukusch? (der das sagte ist leider tot, und kann die Frage nicht beantworten ...)

Afghanistan ist Dauer-Kriegs-Schauplatz.
Das Land an der Schnittstelle von Süd- und Zentralasien, fast doppelt so groß wie die Bundesrepublik, hat 30 Mill. Einwohner (6 Mill. auf der Flucht, 3 Mill. im Exil), und besteht zu drei Vierteln aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen - nur weniger als 10% seiner Fläche liegen unterhalb von 600 m Meereshöhe, das Hindukuschgebirge ist bis 7500 m hoch. Erst seit 1964 besteht zwischen dem Becken von Kabul und dem nördlichen Landesteil eine winterfeste Straßenverbindung (mit dem höchsten Straßentunnel der Welt) über den Gebirgskamm nach Mazār-i Scharif.


Salang-Pass; rechts hinten Lkw-Abgaswolke

Seit 2004 ist Afghanistan eine islamische Republik, seine Hauptstadt Kabul, wo seit September 2014 Ashraf Gani als Staatsoberhaupt regiert.
Im Westen grenzt das Land an den Iran, im Norden an Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan, im Osten an China und im Süden an Pakistan.
Viele weitgereiste Leute halten Afghanistan für eines der schönsten Länder der Welt ...
Aber auch das ist Afghanistan: Über 30 Jahre Krieg, ein schwacher, korrupter Staat und Terror. Warlords, bewaffnete Milizen, fremde Soldaten und Kämpfer in dem Land, das 90% der Weltproduktion an Mohn als Grundstoff für Heroin liefert ...

















80% seiner Einwohner leben auf dem Land, die Bevölkerung besteht aus einer Vielzahl ethnischer Gruppen und Stämme, eine Kategorisierung ist schwierig, weil Selbstidentifikation und Fremdzuschreibung unterschiedlich sind.
Etwa 42% gehören zu den Paschtunen, die Tadschiken mit etwa 27%, oft als "Parsiwan" (Persischsprecher) oder "Dihgan" (Dorfbesitzer im Sinn von sesshaft) sind keine ethnische Gruppe im engeren Sinn, kulturelle, soziale oder politische Abgrenzung zu anderen Gruppen besteht nicht. Oft ist "Tadschik" auch Sammelbegriff für Bevölkerungsgruppen, die keiner Stammesgesellschaft angehören, Persisch sprechen und zumeist sunnitischen Glaubens sind.
Hazara, ebenfalls persischsprachig, größtenteils schiitischen Glaubens und Usbeken, eines der vielen Turkvölker Zentralasiens, stellen jeweils etwa 9% der Bevölkerung. Daneben gibt es unendlich viele kleinere Gruppen.
Etwa 50 Sprachen und über 200 verschiedene Dialekte existieren, seit 1964 ist Dari (Persisch) und Paschtu offizielle Amtssprache, daneben 5 anerkannte Minderheitensprachen.
Die gesamte Bevölkerung sind Muslime, etwa 80% Sunniten und der Rest Schiiten. Die meisten Frauen in den Städten tragen außerhalb des Hauses Burka, auf dem Land weniger. Die Analphabetenrate beträgt 70%, bei Frauen 90%.



Ab dem 16. Jahrhundert gehört Afghanistan teilweise zum Reich der Safawiden, Kabul untersteht dem Mogulreich und Kandahar gehört abwechselnd Persien und Indien, bis sich im 18. Jahrhundert paschtunische Stämme gegen Perser und Mogulen erheben.
Nach ihren unzähligen Aufständen verdrängt Nadir Schah die Paschtunen zurück nach Kandahar. Der Paschtune Ahmad Schah Durrani gründet 1747 ein Königreich im Osten Persiens, das Durrani-Reich. Nun kommen die Kolonialreiche, der Konflikt zwischen Russland und Großbritannien (The Great Game) führt zum Eingreifen der Briten in den Thronfolgerkrieg. Es folgt der
- 1. Anglo-Afghanische Krieg 1839 bis 1842, in dem der britische Versuch scheitert, Afghanistan Indien anzugliedern, auch der
- 2. Afghanisch-Britische Krieg 1878 bis 1881 ändert am Status Quo nichts.
Die Engländer setzen Abdur Rahman Khan auf den Thron, er wird Gründer des modernen Afghanistans. Unter seiner Herrschaft legen Briten und Russen die heutigen Grenzen fest, 1893 wird die


Durand-Linie

die Grenze zwischen Afghanistan und Britisch-Indien, sie durchtrennt das Siedlungsgebiet der Paschtunen, 1898 erhält Afghanistan Süd-Turkestan zugesprochen und damit seine Nordgrenze.
Im 1. WK versuchen Deutschland und das Osmanische Reich, Afghanistan auf die Seite der Mittelmächte in den Krieg zu ziehen, 1919 ist der
- 3. Afghanisch-Britische Krieg zu Ende, 1921 erkennen Großbritannien und Rußland die Unabhängigkeit an. Seit 1925 ist das Land konstitutionelles Königreich,

1933 besteigt ein 19-jähriger Prinz den Thron. Sicherheitspolitisch schließt sich Afghanistan mit Irak, Iran und Türkei auf gegenseitiger Nichtangriffsbasis gegen die Sowjetunion zusammen, Offiziere der Nazi-Wehrmacht modernisieren die Armee, die Deutschen reorganisieren Polizei und Geheimdienst, sind in der gesamten landwirtschaftlichen und industriellen Planung, im Ausbau des Straßen-, Erziehungs- und Ausbildungswesens federführend; zu Beginn des 2. WKs erklärt Afghanistan sich für neutral.
Erste freie Wahlen finden 1965 statt. 1973 putscht der Schwager des Königs, Daoud Khan, ruft die Republik aus und übernimmt alle politisch wichtigen Ämter, entwickelt sich zum brutalen Diktator, bekämpft von allen Seiten. 1978, in der Saurrevolution, wird Khan abgesetzt und hingerichtet. Neue Machthaber sind die Anführer der vorher illegalen Khalq-Partei, die den radikalen Versuch starten, das Land mittels Bodenreform und weiterer Maßnahmen zu einem modernen sozialistischen Staat zu entwickeln. Als enteignete Großgrundbesitzer und lokaler muslimischer Klerus zum bewaffneten Widerstand gegen das neue Regime aufrufen, Unterstützung von chinesischer und amerikanischer Seite erhalten, nimmt die Abhängigkeit der Machthaber von der sowjetischen Hilfe zu; die Khalq-Partei schließt opponierende Mitglieder aus ihren Reihen aus, verhaftet oder ermordet sie.
Die Regierung gerät zusehens gegen die konservativ-islamischen Kräfte in die Defensive.

Dauerkrieg

Russisch-Afghanischer Krieg (1979 bis 1989)

1979 marschieren sowjetische Truppen ein. Trotz waffentechnischen Überlegenheit gelingt es ihnen nicht, den Widerstand der verschiedenen islamischen Gruppen (Mudschaheddin) zu brechen, die letzten Truppen verlassen 1989 das Land. Die Widerstandskämpfer siegen mit der schon in den Afghanisch-Britischen Kriegen praktizierten Guerillataktik (Vermeidung offener Feldschlachten), der Unterstützung aus Pakistan, Saudi-Arabien, USA (sie liefern chinesische Waffen für die Mudschaheddin!) und Söldnern (die sich nach Kriegsende im Land festsetzen) aus orthodoxen islamischen Ländern (wie Saudi Arabien).

Islamisches Emirat Afghanistan, Taliban (1989 bis 2001)



Nach dem Rückzug der UdSSR dauern die Kämpfe zwischen Regierung (von der Sowjetunion gestützt) und den Mudschaheddin an. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 erobern 1992 Truppen von


Ahmad Schah Massoud ("Löwe von Pandjschir") und Abdul Raschid Dostum

Kabul. Nach Gründung des Islamischen Staats Afghanistan 1992 im Friedensvertrag von Peshawar (Vereinbarung verschiedener afghanischer politischer Parteien, Peshawar Accords), beginnt Gulbuddin Hekmatyār, radikaler fundamentalistischer Moslem, mit Unterstützung Pakistans einen jahrelangen Krieg in Kabul gegen den Islamischen Staat, der weite Teile Kabuls zerstört. Des weiteren kommt es zum grausamen Krieg zwischen verfeindeten Milizen. Der Süden Afghanistans gerät völlig außer Kontrolle, Stammesführer oder lokale Milizen herrschen hier. 1994 treten erstmals


die Taliban

in Kandahar Erscheinung. Die Bewegung stammt ursprünglich aus religiösen Schulen für afghanische Flüchtlinge in Pakistan, die die Macht in verschiedenen südlichen und westlichen Provinzen übernehmen.
1994 gelingt es dem inzwischen zum Verteidigungsminister aufgestiegenen Ahmad Schah Massoud, Hekmatyār und die verschiedenen Milizen in Kabul zu besiegen. Er initiiert einen landesweiten politischen Prozess mit dem Ziel nationaler Konsolidierung und demokratischer Wahlen. Die Einladung Massouds zum Anschluss lehnen die Taliban ab, sie wollen ein diktatorisches Emirat errichten. 1995 starten sie großangelegte Bombenkampagnen gegen Kabul, erleiden aber eine vernichtende Niederlage gegen die Truppen Massouds.
Im September 1996, mit militärischer Unterstützung Pakistans und finanziellen Hilfen aus Saudi-Arabien neu formiert, marschieren die Taliban mit einer Großoffensive in Kabul ein und errichten das


Islamische Emirat Afghanistan,

welches lediglich von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten anerkannt wird.
Ahmad Schah Massoud und Abdul Rashid Dostum gründen die Vereinte Front, die sich zur nationalen politischen Widerstandsbewegung gegen die Taliban entwickelt. Ahmad Schah Massoud verteidigt als einziger Kommandeur seine Gebiete ab 1998 erfolgreich gegen die Taliban, obwohl Pakistan militärisch deren Seite interveniert. Musharraf (später Präsident Pakistans) entsendet als Militärstabschef zehntausende Pakistaner, um an der Seite der Taliban und Al-Qaida gegen Massoud zu kämpfen, hinzu kommen tausende Milizionäre aus arabischen Ländern oder Zentralasien. Von geschätzten 45.000 Soldaten, die gegen die Vereinte Front kämpfen, sind nur etwa 14.000 Afghanen.
Über die kontrollierten Gebiete verhängen die Taliban ihre politische und juristische Interpretation des Islam. Frauen leben quasi unter Hausarrest, gegen die Zivilbevölkerung begehen sie systematisch Massaker, der UNO-Bericht zitiert Zeugenaussagen, wonach arabische Milizionäre mit ihren langen Messern die Kehlen aufschneiden und Menschen häuten.
Ressentiments und Widerstand gegen die Taliban, ausgehend von den Wurzeln der afghanischen Gesellschaft, werden stärker, insgesamt fliehen etwa 1 Mill. Menschen vor den Taliban. Während seines Besuchs im Frühjahr 2001 in Europa, bei dem ihn die europäische Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine den "Pol der Freiheit in Afghanistan" nennt, warnt Massoud den Westen, sein Geheimdienst habe Informationen, denen zufolge ein großangelegter Anschlag auf amerikanischen Boden unmittelbar bevorstehe.
Am 11. September stürzen die Twin Towers ein.







Operation Enduring Freedom, Bürgerkrieg (1989 bis 2001)





2001 bis 2021:
Krieg des Westens gegen die Taliban
aufgegeben, Abzug aller Soldaten, Afghanistan verraten

Am 7. Oktober 2001 beginnen amerikanische und britische Streitkräfte mit der Operation Enduring Freedom (OEF) in Afghanistan, nachdem die USA als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September den "Krieg gegen den internationalen Terrorismus" ausgerufen haben. Die OEF hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, sie zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen und Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.
Die NATO wertet die Anschläge als Angriff auf die Vereinigten Staaten von außen und bejaht erstmals in ihrer Geschichte den Bündnisfall, weil das Verteidigungsbündnis überzeugt ist, dass die Attentäter zu al-Qaida gehören und diese von den Taliban in Afghanistan geschützt würden.
Problematisch ist die zeitliche Unbegrenztheit für den Einsatz und ob eine Legitimation für den Bündnisfall seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 noch besteht.

Kriegsverlauf detailliert und fundiert in der englischen Wikipedia

Die Intervention führt zum Sturz der Talibanregierung, aber obwohl die Bevölkerung beides mehrheitlich begrüßt, gelingt es der in den pakistanischen Rückzugsgebieten neu formierten Talibanbewegung, wieder Fuß zu fassen. Die beteiligten Staaten sind nicht willens, größere Truppenkontigente zu stellen, der neue Staat ist auf die von den Taliban entmachteten, bei der Bevölkerung diskreditierten regionalen Machthaber angewiesen, es kommt zur erneuten Fragmentation des Landes. Unterfinanzierung der Aufbauarbeiten, Konzentration der US-Bemühungen auf den parallel geführten Krieg im Irak und die andauernde Einmischung Pakistans verhindern die Stabilisierung des Staates.
Den nach Pakistan geflohenen Führern der Taliban gelingt es, eine neue, stärker in die internationalen Dschihadistennetzwerke eingebundene Bewegung zu formieren. Vereinzelte Überfälle im ersten Jahr nach dem Sturz der Talibanregierung sind versprengten, ums Überleben kämpfenden Taliban zuzuschreiben, ab Ende 2002 folgen koordinierte Angriffe auf Staatseinrichtungen und ausländische Truppen, die sich in den folgenden Jahren, ebenso wie die Operationsgebiete der Aufständischen, ausweiten.





Involvierte Personen

Ahmad Schah Massoud



Massoud, Tadschike, geboren 1953 in Pandjshir, studiert in den 1970er Jahren in Kabul, wo Umbruchstimmung herrscht. Die Menschen sind mit dem korrupten König unzufrieden, Massoud schließt sich der islamistischen und antikommunistischen Bewegung an. In Pakistan absolviert er eine militärische Ausbildung, tritt aber - zurück in Afghanistan - für einen friedlichen Umbruch ein. Zwei pakistanische Agenten und Gulbuddin Hekmatyār, verüben 1975 einen Mordanschlag auf ihn, dem er entkommt.
1978 gelangen, von Moskau unterstützt, die Kommunisten an die Macht, die alles radikal verändern, eine Gewaltherrschaft aufbauen und bis 1979 etwa 100.000 Menschen ermorden. Als die Sowjettruppen einmarschieren, ist Massoud in seinem Geburtsort, dem Panjshir-Tal am Hindukush. Fortan spielt er eine zentrale Rolle im Widerstand. Sein Guerilla-Kampf und militärisches Können führen zu massiven Niederlagen der Russen, neun ihrer Großoffensiven mit zehntausenden von Soldaten scheitern in Panjshir.
Daher rührt sein legendärer Name "Löwe von Pandjshir". 1992 wird Massoud durch die Friedensvertrag von Peshawar zum Verteidigungsminister. Milizenführer Gulbuddin Hekmatyār startet unter Kontrolle des pakistanischen Geheimdienstes einen jahrelangen Krieg in der Hauptstadt Kabul. Wegen seiner Misserfolge wendet er sich 1994 den Taliban zu, die Kabul nach mehrmonatiger Belagerung im September 1996 erobern. Massoud zieht sich in den Norden Afghanistans zurück. Unter seiner Führung wird die Vereinte Front zu einer nationalen militärisch-politischen Widerstandsbewegung, wo Vertreter aller Ethnien Afghanistans vereint sind, gegen die Taliban. Kurz nach dem tödlichen Attentat auf Massoud, stürzt die Vereinte Front schließlich Ende 2001 mit amerikanischer Luftunterstützung das Talibanregime in Kabul und errichtet eine Übergangsregierung.
Präsident Hamid Karzai ernennt Massoud zum "Nationalhelden der afghanischen Nation", sein Todestag, der 9. September, ist nationaler Tag der Erinnerung.



Wirlich ein Volksheld?
General Boris Gromov behauptet in seinem Buch "Limited Contingent", Massoud sei Agent der Sowjets gewesen, der lange Zeit alles tat, was sie ihm befahlen. Er soll 1982 in einem den Sowjets zugesichert haben, die sowjetischen Militärkonvois, die den von ihm kontrollierten südlichen Pass von Salang passieren, nicht anzugreifen. Massoud habe sich darauf konzentriert, seinen Erzrivalen Gulbuddin Hekmatyār auszuschalten, was auch im Interesse der Sowjets gelegen habe, da Hekmatyār massiv von Seiten der USA und Pakistan unterstützt worden sei.
Yuri Korbert, ein Afghanistan-Veteran, behauptet, dass in all den Jahren kein einziger Kampf der Sowjets gegen Massoud stattfand. Massoud und seinen Truppen habe es an Waffen und logistischen Mitteln gefehlt, um gegen die Rote Armee kämpfen zu können. Und ein amerikanischer Journalist, Eric Margolis, behauptet, Massoud habe die Moskauer Regierung überzeugen wollen, den damaligen afghanischen Präsidenten Najibullah Ahmadzai zu stürzen, damit er dessen Platz einnehmen könne.
1993 kommt es im Kabuler-Stadtteil Afschar zu einem folgenschweren Massaker, dem hauptsächlich Angehörige der Hazara, einer schiitischen Minderheit, zum Opfer fallen. Haupttäter: Ministerpräsident Burhanuddin Rabbani, der extremistische Warlord Abdul Rasul Sayyaf sowie Ahmad Shah Massoud, damals Verteidigungsminister. Seine Soldaten morden, plündern und vergewaltigen Frauen und Kinder.

Kreislauf der Straflosigkeit

Warlords schlimmer als die Taliban




Gulbuddin Hekmatyār



Geboren 1947 in Imam Saheb/Provinz Kunduz, sunnitischer Paschtune, studiert ohne Abschluss an der Universität Kabul, wendet sich dem radikalen politischen Islam zu und bekämpft ab 1978 die Regierung. Er soll mit mit dem Motorrad an Universitäten vorbeigefahren und unverschleierten Studentinnen Säure ins Gesicht geschüttet haben. Im Sowjetisch-Afghanischen Krieg untererstützt der pakistanische Geheimdienst ISI den Widerstand gegen die sowjetische Besatzungsmacht. Hekmatyārs islamistische Gruppierung gehört in den 1980er Jahren zu den am stärksten von Pakistan, den USA und Saudi-Arabien finanziell, militärisch und logistisch unterstützten Mudschaheddingruppen.
1993 afghanischer Premierminister, verliert er später er sein Amt und 1996, nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban, flieht er in den Iran. 2001 stellt er sich auf die Seite Osama bin Ladens, 2002 ruft er in einer Radioansprache zum Dschihad gegen die USA auf.



Von der iranischen Regierung des Landes verwiesen, kehrt er nach Afghanistan zurück, erklärt 2006 in einem öffentlichen Video, mit al-Qaida kooperieren zu wollen, bekennt sich 2008 in einem Video zu einem Hinterhalt bei Sarobi, bei dem zehn französische Soldaten getötet und 22 verwundet werden, kündigt neue Angriffe an und behauptet, dass der Widerstand gegen die fremden Besatzer in der Bevölkerung wachse.



Abdul Raschid Dostum



- eine der umstrittensten Personen Afghanistans, wohl der mächtigste Warlord.
Menschenrechtsorganisationen beschuldigen ihn zahlloser schwerster Kriegsverbrechen, seine Herrschaft in seinen nördlichen Provinzen gilt als brutal. Berüchtigt sind die häufigen Verbündetenwechsel: Zwischen 1979 und 2001 hat er praktisch jede Gruppierung sowohl zum Verbündeten als auch zum Gegner.
Andererseits wird Dostum der Aufbau eines effizienten Verwaltungssystems attestiert: Rahmenbedingungen für eine im nationalen Vergleich florierende Wirtschaft, Mazār-i Scharif gilt in den 90er Jahren allgemein als letzte Insel des Frieden und Wohlstands. Als einziger der Milizenführer ist Dostum nicht islamistisch geprägt, seine säkulare Politik ermöglicht den Menschen eine im übrigen Land unerreichte persönliche Freiheit. Als im restlichen Afghanistan unter den Taliban Frauen jede bezahlte Arbeit und Mädchen der Schulbesuch gewaltsam verwehrt ist, studieren in Dostums Herrschaftsgebiet etwa 1800 Frauen, die meisten unverschleiert, berühmte Musiker und Tänzer, die in Kabul nicht mehr auftreten dürfen, suchen Zuflucht in Dostums Herrschaftsgebiet.
Dostum ist Usbeke, geboren um 1954 Dorf nahe Scheberghan, 1973 tritt er in die Armee und Demokratische Volkspartei Afghanistans ein, hält ein enges Verhältnis mit Babrak Karmal, Führer der moderaten Partscham-Fraktion der afghanischen Kommunisten, späteren afghanischen Präsidenten. Nach der Revolution durch die Kalq-Partei verlässt Dostum die Armee, nach Besetzung Afghanistans durch die Sowjetarmee und Ernennung Karmals zum Präsidenten, trainiert er militärsich in Kasachstan und baut eine eigene Miliz auf, die gegen die Mudschaheddin kämpft, sie erreicht Regiments- und später Brigadenstärke.
1987 wird Dostum General in der Armee, seine Miliz als 53. Infanteriedivision in die reguläre Armee eingegliedert. Praktisch stellt sie eine Privatarmee Dostums von etwa 20.000 Mann dar, meist Uzbeken aus Dschuzdschan, auch Dschuzdschani-Miliz genannt und bekannt für Disziplin und Kampfstärke, aber berüchtigt für Plünderungen.



Nach Abzug der Sowjettruppen 1989 spielen Dostums gut ausgerüstete Milizen die entscheidende Rolle für den Machterhalt der prosowjetischen Regierung, einige Einheiten, nach Kandahar verlegt, ersetzen die abziehenden sowjetischen Truppen bei der Bekämpfung der Mudschaheddin. Dschuzdschanis verteidigen Regierungsstellungen in Dschalalabad bis 1990, Dostums 53. Division hat 1991 45.000 Mann unter Waffen, im März 1990 wird Dostum ins das Zentralkomitee der Hizb-i Watan, Nachfolgeorganisation der Demokratischen Volkspartei, aufgenommen.
1992 führt Dostum eine Rebellion der Garnison in Mazār-i Scharif gegen die Regierung an, übernimmt mit seiner Miliz kampflos die Kontrolle über die Stadt, erklärt sich zum Führer einer neuen Partei und schließt sich mit zwei seiner vormaligen Gegner der Mudschaheddin, mit Burhānuddin Rabbāni und Ahmad Schah Massoud zusammen. Sie erobern Kabul und stürzen die Regierung, kommen den paschtunischen Milizen, insbesondere der von Gulbuddin Hekmatyār, zuvor, mit denen sie um die Vorherrschaft in Kabul kämpfen, 1994 verbündet er sich mit Hekmatyār.





Während die verschiedenen Milizen um die Kontrolle der Hauptstadt und damit der Zentralgewalt kämpfen, baut Dostum seine Herrschaft in der Region um Mazār-i Scharif weiter aus, errichtet in sechs nördlichen Provinzen einen vom Rest des Landes weitgehend unabhängigen Pseudostaat, mit eigener Airline und Währung. Das von ihm und mit ihm eng verbundenen Milizenführern kontrollierte Gebiet umfasst seine Heimatprovinz Dschuzdschān, Faryāb, Sar-i Pol und Samangan sowie Teile von Balch, Kunduz und Tachar.
1995 unterstützt er anfangs die Taliban und strebt eine Allianz mit ihnen an. Nachdem die Taliban 1996 Kabul erobert und die Dschamiat in den äußersten Nordosten des Landes drängen, verbündet er sich jedoch wieder mit Rabbāni, Massoud und Karim Chalili zur gegen die Taliban gerichteten Vereinigten Islamischen Front.
Als 1997 die Taliban auf die von Dostum kontrollierten Gebiete vorrücken, meutert Dostums stellvertretender Kommandeur und läuft mit Teilen der Einheit zu den Taliban über, die Taliban erobern Dostums Kerngebiet und marschieren in Mazār-i Scharif ein. Dostum flieht über Usbekistan in die Türkei. Nur drei Tage nach ihrem Einmarsch werden die Taliban wieder aus Mazār-i Scharif vertrieben, Dostum kehrt zurück, 1998 erobern die Taliban Mazar-i Scharif zurück, Dostum flieht wieder ins Exil in die Türkei.
2001 kehrt er zurück, formiert seine Milizen neu und mit US-Unterstützung erobern sie Mazar-i Scharif von den Taliban zurück. Dostum wird stellvertretender Verteidigungsminister in der von Hamid Karzai geführten Interimsregierung.



Seine Einheit überführt Dostum in eine politische Partei, bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2004 tritt Dostum als Kandidat an und er erreichte mit 10% Platz 4. Wahlsieger Karzai ernennt Dostum 2005 zum militärischen Chief of Staff. Nachdem Dostum 2008 angeblich einen Konkurrenten angegriffen hat, verbringt er einige Zeit in der Türkei, von wo er 2009 auf Bitten Karzais zurückkehrt, mit dem Versprechen, Karzai die Stimmen der Usbeken bei den Parlamentswahlen zu sichern. Die nordafghanischen Usbeken betrachten Dostum bis heute als ihren legitimen Führer.
Ende 2011 gründet Dostum zusammen mit Massoud und Hadschi Mohammed Mohaqiq die Nationale Allianz, die gegen eine Rückkehr der Taliban an die Macht kämpft. 2014 ernennt Präsident Ghani ihn zu seinem Stellvertreter



Hamid Karzai



Wer ist Karzai?
Stolzer Patriot? Vater der Nation? Bürgermeister von Kabul? Korrupter Machtpolitiker? Durchgeknallter Verschwörungstheoretiker? Anti-Demokrat?
Als er nach dem Sturz der Taliban im Dezember 2001 sein Amt antritt, ist er handverlesener Präsident der USA, der ein Land zusammenhalten soll, das unter einem brutalen Regime gelitten hat, davor unter einem brutalen Bürgerkrieg und davor unter brutalen sowjetischen Besatzern.
Karzai steht an der Spitze eines traumatisierten Volkes, in unzählige Volksgruppen, Stämme und Clans zersplittert, noch immer die größte Flüchtlingsgruppe der Welt. Er beginnt in der Phase, als die USA gnadenlos Rache nehmen wollen für den 11. September, von einer internationalen Staatengemeinschaft unterstützt, die mit unklaren und widersprüchlichen Zielen in sein Land einmarschiert. Er schmiedet wechselnde Stammesallianzen, balanciert Volksgruppen aus, bezahlt Freunde für Gefälligkeiten und kauft mit ausländischem Geld Gegner.



Karzai sorgt für eine zerbrechliche Stabilität, Frieden herrscht keiner im Land. Sein Verhältnis zu den Vereinigten Staaten hat sich abgekühlt zur Feindseligkeit. Er wirft ihnen vor, einen falschen Anti-Terror-Krieg im falschen Land zu führen, die Würde der Afghanen mit Füßen zu treten. Aber arbeitet - wie seine westlichen Partner - mit Mördern und Kriegsverbrechern zusammen, um Macht zu stabilisieren, betreibt Clanwirtschaft und Stammespolitik, seine Familie wird steinreich, in einem hohlen und korrupten Staat, was die Taliban so stark macht. Die Afghanen werden kritischer gegenüber ihren Eliten.
Karzai, 1957 in Karz nahe Kandahar geboren, Paschtune, studiert bis 1983 in Indien Politik. Gegen die sowjetische Intervention unterstützt er als Unternehmer die Mudschaheddin mit einem Teil seines Vermögens. Ende der 1980er Jahre kehrt Karzai nach Afghanistan zurück, um anti-sowjetische Kräfte im Land zu unterstützen. Nach dem Abzug der Sowjets ist er 1992 bis 1994 Vize-Außenminister.



Karzai unterstützt anfangs die Taliban, bricht dann mit ihnen und flieht 1996 in die UNO-Botschaft. 1997 gründen er, sein Vater und sein Bruder eine Gegenbewegung in Quetta/Pakistan. Er versorgt Gegner der Taliban mit Waffen und unterstützt sie finanziell, unterhält angeblich Kontakte zum CIA.
Dem Mordanschlag 1999 auf die Familie, bei dem der Vater stirbt, entkommen Hamid und sein Bruder Ahmad Wali Karzai knapp. Hamid erbt den Titel des Khans der 500.000 Popalzai, wird ein Führer im bewaffneten Widerstand gegen die Taliban, Bruder Ahmad Wali Karzai gilt als größter Drogenproduzent und -händler Afghanistans, der u. a. auf der Lohnliste der CIA steht (2011 ermordet).
Bis zum Eintreffen der US-amerikanischen Truppen 2001 hat Karzai mit den Taliban ein Übereinkommen geschlossen, das ihnen Generalamnestie und Mullah Omar freien Abzug aus der Stadt zusichert. Die USA wollen sich nicht an dieses Abkommen zu halten, 2001 wird Karzai als Präsident der Übergangsregierung ernannt, bei einem Attenta 2002 eröffnet ein Schütze in afghanischer Armeeunform das das Feuer, verwundet den Gouverneur von Kandahar und einen Angehörigen der US-Armee, der Schütze und der Leibwächter Karzais sterben.



Bei den Präsidentschaftswahlen 2004 erhält er 55%. 2008 überlebt Karzai einen Angriff der Taliban in Kabul unverletzt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2009 kommt es zu mehreren hunderttausend Stimmenfälschungen zugunsten von Karzai. Die Stichwahl zwischen Karzai und seinem stärksten Kontrahenten Abdullah Abdullah, wird abgesagt, weil der Herausforderer aus Protest vor erneut möglichen Unregelmäßigkeiten seine Kandidatur zurückzieht. 2013 fordert der Außenminister Deutschlands, Guido Westerwelle bei einem Besuch 2013 Karzai zur mehr demokratischen Fortschritten und härterer Bekämpfung der Korruption auf.
Den Bericht der französische Zeitung Le Monde 2001, wonach Karzai seine Ausbildung nach dem Politikstudium in Indien in den USA abgeschlossen und dort kurzzeitig als Berater für den Energiekonzern Unocal gearbeitet und das Unternehmen bei den Verhandlungen 1996 und 1998 über den Bau einer Gaspipeline durch Afghanistan mit den Taliban repräsentiert habe, dementieren Unocal als auch das Umfeld Karzais (Verwechslung mit dem späteren US-Botschafter in Afghanistan Zalmay Khalilzad?). 2002 jedenfalls unterzeichnet die Regierung Karzai 2002 mit Turkmenistan und Pakistan einen Vertrag über die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Pipeline, die einen ähnlichen Verlauf wie das frühere Projekt hat.
Zwei Cousins Karzais,


Ahmed Rateb

und Rashid Popal (frühere Drogenhändler) leiten die Watan-Group, die u.a. Logistik- und Sicherheitsdienste anbietet; sie soll die Taliban dafür bezahlen, ihre Konvois nicht anzugreifen.
siehe auch



Ashraf Ghani Ahmadsai



- eine neue Figur?
Sein Stammesname Ahmadsai wird meist weggelassen, er ist ein verwandelter Mann. Früher trägt er gerne westliche Kleidung, jetzt lange Hemden über weit geschnittenen Hosen, in der Hand hält er meistens eine Gebetskette.
Sein Programm: Unsere Bevölkerung ist arm. Es geht ihr nicht gut. Die Menschen brauchen Hilfe. Sie brauchen Bildung und Entwicklung. Aber mehr als alles brauchen sie ein Ende der Gewalt und der Abhängigkeit. Unsere Bevölkerung stirbt jeden Tag.
Nach monatelangem Gezerre ist er Präsident.
Geboren 1949 in Logar, sunnitischer Muslim, Paschtune (misstrauisch beäugt von den Minderheiten im Norden Afghanistans), studiert in Kabul und an der Amerikanischen Universität in Beirut (wo er die Libanesin christlichen Glaubens Christin Rujla Ghani kennenlernt), wechselt mit einem Stipendium 1977 in die USA, promoviert er an der Columbia University in New York in Kulturanthropologie. 1983 bis 1991 lehrt in Berkeley Anthropologie und Politikwissenschaft, geht zur Weltbank und UNO.
2001 kehrt er nach 24-jährigen Abwesenheit als Flüchtling im Ausland nach Kabul als UNO-Sondergesandter zurück, 2002 bis 2004 ist er Finanzminister, dann bis Ende 2008 Kanzler der Universität Kabul, 2006 wird er als Kandidat für den UN-Generalsekretär gehandelt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2009 erhält er etwa 3% und kommt auf den vierten Platz hinter Hamid Karzai, Abdullah Abdullah und Ramasan Bashardost. 2011 übernimmt der die Sicherheitsverantwortung für Afghanistan durch die ISAF (International Security Assistance Force).



Aschraf und Rujla Ghani sind verheiratet und haben zwei Kinder.

Präsidentschaftswahl
2014 ernennt Ghani den usbekischen Warlord Raschid Dostum (den er füher selbst als "Killer" bezeichnet) zu seinem Stellvertreter, um auch in nicht-paschtunischen Gebieten Stimmen zu erhalten. 20014 im April beim ersten Wahlgang erreicht Ghani 32 %, sein Haupt-Gegenkandidat Abdullah Abdullah kommt auf 45 %. Bei der Stichwahl im April erreicht Gani überraschend 56 %, die Anhänger Abdullahs sprechen von Wahlfälschung, beide Seiten einigen sich auf die Neuauszählung der Stimmen. Ohne das genaue Ergebnis der Stimmen-Neuauszählung bekanntzugeben, wird Ghani offiziell zum Sieger der Wahl erklärt und als Präsident vereidigt - gleichzeitig wird bekannt, dass das Amt des Premierministers mit einem Vertrauensmann Abdullahs besetzt werden soll.
Fälschungsvorwürfe lässt Gani gelassen an sich abprallen und betont, die komplette Neuauszählung aller Stimmen sei seine Idee gewesen: "Wenn ein Kandidat oder sein Umfeld derart schwere Fälschungsvorwürfe erheben, dann ist es unsere demokratische Pflicht, diese Vorwürfe vollständig zu untersuchen. Wir müssen die Menschen ehren, die mit ihrem Mut Geschichte geschrieben haben. Die Wählerinnen und Wähler haben Schlange gestanden und ihr Leben riskiert. Das ist die wahre Geschichte dieser Wahl".

Der Akademiker mit Machtinstinkt gilt als temperamentvoll und launisch. Er will eine afghanische Marktwirtschaft entwickeln. Der 65-Jährige hat ein Buch über den Wiederaufbau gescheiterter Staaten geschrieben. "Es gibt nicht die eine Marktwirtschaft, die für alle passt. Wir müssen eine afghanische Marktwirtschaft entwickeln, die zu einem Land ohne Zugang zum Meer passt. Ich will Afghanistan in ein Transitzentrum für den regionalen Handel verwandeln. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen".
Gani will, dass die NATO nach dem Abzug ihrer Kampftruppen im Dezember 2014 mit Trainern, Beratern und Spezialkräften im Land bleibt, wohl wissend, dass sich sein Staat noch über viele Jahre nicht alleine finanzieren kann. Und dass er von gewaltbereiten Warlords umzingelt ist.





Tödliche teure Mission

Deutsche Bundeswehrsoldaten sind unter lebensgefährlichen Bedingungen seit 2001 am Hindukusch im Einsatz. Ihre Mission: Stabilität und Demokratie im Norden Afghanistans schaffen und den Wiederaufbau unterstützen. Doch die Sicherheitslage im kriegszerstörten Land ist desaströs - immer wieder gibt es Tote und Verletzte.
Die offiziellen Kosten für die Bundeswehrmission bei jeder der 13 Mandatierungen im Bundestag seit 2001: Im ersten Jahr 436 Mill. €, 2011 etwas mehr als eine Milliarde €. Darüber hinaus entstehen Kosten durch Tod oder Verletzung von Soldaten sowie die Investitionen von Entwicklungsministerium und Auswärtigem Amt von etwa 7 Milliarden € über zehn Jahre.

Die Neo-Taliban verdienen Hunderte von Mill. US-$ mit Drogen. Placido im US-Senat: "Die Taliban besteuern Opiumfarmer, Opiumhändler und Laboratorien, in denen Opium zu Heroin verarbeitet wird, sowie Händler, die durch von Taliban kontrollierte Gebieten reisen. Außerdem sammeln sie Spenden von Drogenhändlern und verkaufen selbst Drogen, um Waffen und Munition für ihren anhaltenden Kampf gegen die US-geführten Truppen in Afghanistan finanzieren zu können."
In einer spektakulären Aktion stürmen die Taliban am 13. Juni 2008 ein Gefängnis in Kandahar und befreien sämtliche Insassen, etwa 1.150 mutmaßliche Extremisten. Im April 2011 entkommen aus der gleichen, zu einem Hochsicherheitsgefängnis umgebauten Anlage über 500 Taliban, darunter angeblich etwa 100 Kommandeure, durch einen 360 Meter langen Tunnel.
2010 veröffentlichen Zeitungen aus den USA, Großbritannien und Deutschland das Afghan War Diary, Auszüge aus mehr als 91.000 teilweise geheimen Berichten, die das US-Militär über die Zeit von Januar 2004 bis Dezember 2009 eingeholt oder verfasst und WikiLeaks zur Verfügung gestellt hat. Ergebnis: Die Situation der ISAF-Kräfte verschlechtert sich deutlich, möglicherweise nimmt Pakistan in geheimen Operationen gegen die ISAF Einfluss.
2011 erklärt NATO-General a.D. Harald Kujat den Militäreinsatz in Afghanistan für gescheitert.
Tote: über 3.400 Koalitionssoldaten, 54 Bundeswehrsoldaten und drei deutsche Polizisten.

Getötete Zivilisten: unbekannt. Geschätzt 2003: 3100 bis 3600, für zwei Drittel der Opfer sind Aufständische verantwortlich.
Afghan War Diary 2004 bis 2009: 24.155 Tote im Zusammenhang mit dem Krieg numerisch erfasst.
UN: 2010 2777 afghanische Zivilisten getötet, rund 15% Prozent mehr als 2009.



Verteidigen wir unsere Freiheit auch am Hindukusch?

"Gerechten Krieg" gibt es nicht, die Schwächeren leiden zuerst. Zivilisten – Frauen, Kinder, Alte – sind immer die Opfer. Kein Krieg macht dabei eine Ausnahme, das ist die Tragödie. Die Konfliktparteien kämpfen nicht nur gegeneinander, sondern ziehen immer auch Unbeteiligte hinein.
Der deutsche Pazifismus erscheint heuchlerisch. Eine Armee wird von gewählten Volksvertretern ins Ausland geschickt. Die Gesellschaft trägt also die Verantwortung. Auch Pazifisten wollen günstig tanken, das neueste Handy besitzen, wollen aber nicht wissen, dass die Handelsrouten von der Bundeswehr geschützt werden.
Als die Bilder der einstürzenden Twin Towers, wo fast 3.000 Menschen ihr Leben lassen, um die Welt gehen, ist allen klar, dass das etwas ganz Großes bedeutet. Weitere Anschläge schließt niemand aus. Der Bundeswehr-Marschbefehl ist konsequente Folge, ebenso, dass mehr militärische Verantwortung kommen wird. Wer nicht völlig blind durchs Leben geht, sieht, was in Afrika los ist. Italiener und Griechen können sich vor Flüchtlingen kaum retten. Heftige Konflikte in Afrika warten auf eine Lösung vor Ort. Sicherheit für die dortige Bevölkerung ist der Grundstein, damit in diesen Ländern Stabilität einkehrt. Die Menschen dort verdienen unsere Hilfe, auch wenn die Einsätze verlustreich sind.
Nach dem 11. September demonstriert die Weltgemeinschaft Solidarität mit den USA, die Nato ruft den Bündnisfall aus. Deutschland ist gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft bemüht, die wichtigsten politischen Akteure Afghanistans auf einen gemeinsamen Fahrplan für einen demokratischen Neuanfang zu verpflichten, ein mühsamer und von Dauer-Rückschlägen geprägter Einsatz. Taliban und andere militante Kräften reorganisieren sich, auch Deutschland kann jederzeit zum Ziel von Angriffen weltweit operierender Terrornetzwerke werden. Deutschlands Engagement in Afghanistan ist deshalb Beitrag zur Verteidigung eigener Freiheit und Sicherheit. Die Vorstellung, durch außenpolitische Zurückhaltung die Gefahren des Terrorismus eindämmen zu können, erscheint naiv und unsolidarisch, IS in Syrien lässt grüßen.

Richtig ist aber auch: Mit jedem unschuldigen Opfer in Afghanistan wachsen Verzweiflung und Wut, und immer mehr Männer und Frauen schließen sich radikalen Gruppen an und sind zu terroristischen Anschlägen bereit. Dass mit der deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan in Deutschland die Schleusen zu einer Militarisierung der Außenpolitik endgültig und weit geöffnet wurden, ist ein überzogenes Bild.
Aber unsere demokratisch gewählten Repräsentanten müssen alles tun, zu verhindern, dass unter Beschwörung einer äußeren Bedrohung unzählige Menschen in Deutschland ins Visier genommen, Daten gesammelt, E-Mails überwacht werden, wie es die US-Geheimdienste tun, damit gerät Freiheit unter die Räder der beschworenen Sicherheit.
Gesiegt hat in Afghanistan die NATO nicht. Zehntausende Tote, Terror, Zerstörung, Korruption, Unsicherheit, Warlords, Taliban, Land in Schutt und Asche, Guantanomo, Menschenrechtsverletzungen ...
Alles für unsere Freiheit?



Zukunft

Der Vorsitzende des auf Anregung der Friedens-Dschirga gegründeten Hohen Friedensrates Burhanuddin Rabbani wird am 20. September 2011 durch einen Selbstmordattentäter getötet.
Ein wichtiger Neo-Taliban-Führer namens Mansour, mit dem man anscheinend monatelang verhandelt, stellt sich als Hochstapler (Bogus-Mansour) heraus. Es sollen hohe Zahlungen an ihn geflossen sein, damit er an Friedensverhandlungen teilnimmt. Zu einem Treffen mit Karzai im Präsidentenpalast in Kabul soll ihn eine NATO-Maschine geflogen haben.
Im November 2010 findet in Pullach das erste Treffen zwischen NATO-Vertretern und Taliban, getarnt als Feier zum 61. Geburtstag Steiners, statt. In den BND-Büros sind Michael Steiner, Sonderbeauftragter der deutschen Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, der


Taliban-Sprecher Syed Tayyab Agha,

Frank Ruggiero vom US-Außenministerium, Jeff Hayes vom Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten und ein Vertreter der katarischen Herrscherfamilie anwesend.
Pakistan, Iran, Russland, Indien und China, nicht dirket am Krieg beteiligt, haben vor Ort jedoch teilweise entscheidenden Einfluss.
Taliban setzen gezielt Propaganda ein und versuchen drei Gruppen anzusprechen: Die internationale Öffentlichkeit, die arabische Welt und die afghanische Bevölkerung. Taliban-Sprecher beantworten per Satellitentelefon Medienanfragen, Mundpropaganda und Flugblätter (night letters), Videos, Lieder und Internet-Posts werden in Afghanistan verbreitet. Als Gegenstrategie zum Partnering (gemeinsame Operationen und Ausbildung mit afghanischen Soldaten) verfolgen Taliban die Strategie, afghanische Sicherheitsorganisationen zu unterwandern, um näher an die Soldaten der ISAF heran zu kommen und erfolgreich Attentate auszuführen. Damit soll auch das Vertrauen zwischen den Partnern unterminiert werden.

Ein unerwartetes Phänomen der Afghanisierung ist das, was Militärs "Green on Blue" nennen, der gezielte Beschuss durch verbündete afghanische Soldaten oder Polizisten, allein 2012 haben "Green on Blue"-Attacken 12 ISAF-Soldaten getötet. Nach dem Mord an zwei US-Offizieren im afghanischen Innenministerium Ende Februar 2012 (offensichtlich Reaktion auf die Koran-Verbrennung durch amerikanische Soldaten) stellt die Bundeswehr vorübergehend das Partnering ein.
Die Lage verschlimmert sich zusehends: Während viele Länder ihre Streitkräfte komplett oder teilweise abziehen, müssen die verbliebenen Soldaten nicht nur die Lücke der abziehenden Soldaten schließen, sondern auch befürchten, von verbündeten Einheiten beschossen zu werden, was verheerende Auswirkungen auf die Moral der Truppe zur Foge hat.

Hoffnung:

Ashraf Ghani

Progressiver Denker und Demokrat. Seine rechte Hand ist - wie er sagt - nicht besudelt von Korruption und seine linke Hand nicht mit Menschenblut. Er will die afghanische Jugend gewinnen, setzt sich für Frauen und Minderheiten ein, hat die Unterstützung lokaler Stämme aus Nord und Süd und eine globale Vision für sein Land, den Übergang in eine Ära der Kooperation mit der weltweiten Völkergemeinschaft.
Die Ghanifizierung Afghanistans beginnt. In der Debatte über die Probleme der Frauen ist Ashraf Ghani der einzige Kandidat, der Ansicht zu den Dingen, mit denen Frauen in Afghanistan konfrontiert sind, offenlegt. Die Bühne ist frei für Ashraf Ghani, es wird nicht lange dauern, dass er die Regie übernimmt, um Afghanistan im Herzen Asiens endlich in eine hellere Zukunft zu führen.
Aber:
Kann er dem Druck standhalten, wird er seine Frau aus seinem Leben ausblenden muss?
Wird er die Bevölkerung davon überzeugen können, diese Frau, eine Ausländerin, zu akzeptieren?
Prominente sprechen sich gegen die neue First Lady, die bloße Anwesenheit Rujla Ghanis im Präsidentenpalast "sei eine verheerende Gefahr für den Glauben der Muslime". Mawlawi Habibullah Hussam, bedeutender Religionswissenschaftler und Imam in Kabul: "Ich hoffe, Dr. Ghani wird nicht den Fehler machen, sie öffentlich zu zeigen - das wird Unmut unter den praktizierenden afghanischen Muslimen erzeugen."
Ein ehemaliges Mitglied des Provinzrats: "Die kommende First Lady, so wie sie ist, nämlich Nicht-Muslim, ist nicht dazu qualifiziert, die Forderungen unseres Glaubens zu erfüllen. Sie ist Ausländerin und kann nicht Vertraute eines muslimischen Herrschers sein. Das ist ein sehr ernstes Problem."

Dass der neue Präsident Rujla in seiner Antrittsrede lobend erwähnt, sorgt im Land für große Aufmerksamkeit, wird allgemein als Tabubruch gewertet.







2016 leben über 250.000 Personen afghanischer Herkunft in Deutschland.
2017 kommen bis Ende Juli 7.368 asylsuchende Afghanen an.
Anfang 2017 leben gut 15.000 ausreisepflichtige Afghanen hier.

Besiegt

Wir sind in allem gescheitert, militärisch und in der Entwicklungshilfe.
Es gbit keine Hoffnung auf einen Sieg gegen die Taliban. Sechs Bundesregierungen in Folge haben im Kampf gegen die Taliban geholfen und versucht, einen demokratischen Staat aufzubauen, Ergebnis: desaströs.

Der Krieg am Hindukusch dauert bereits länger als beide Weltkriege zusammen, geht jetzt in sein 17. Jahr! 150.000 Menschen starben.

Die Taliban haben große Teile des Landes wieder unter ihrer Kontrolle.
Die Regierung besteht aus vielen unterschiedlichen Lagern, die sich zerfleischen und im Korruptionssumpf versinken. Mafiabosse und Warlords haben große Teile des Parlaments übernommen. In dieses innere Chaos drängt der IS, drängen Iran und Pakistan. Die "Islamische Republik Afghanistan" existiert nur in größeren Städten, zerfällt auch dort zusehends. Wie verzweifelt die Lage Aschraf Ghanis mittlerweile ist, beweist sein Angebot, mit den Taliban zu verhandeln – ohne Vorbedingungen. Unwahrscheinlich, dass die Taliban auf dieses Angebot eingehen: Die Zeit spielt für sie.

30 Bewaffnete bewachen das Privathaus eines hochrangigen Politikers in Dschalalabad, Hauptstadt der Provinz Nangahar, wo fast täglich Morde und Anschläge passieren. Vor Kurzem greift ein Selbstmordkommando das Büro von Save the Children an, die Bombe des Attentäters verteilen seine Fleischfetzen in der Straße, Polizei und Militär bemühen sich stundenlang, 41 eingeschlossene NGO-Mitarbeiter zu befreien. Tief traumatisiert kommen sie heraus, bedeckt von Staub und Blut.

Nie seit dem Fall der Taliban stand des um Afghanistan so schlimm wie 2018. In Kabul wagen sich US-Truppen sich nicht mehr auf die Straßen. Nur noch zu Luft bewegen sich Amerikaner im Zentrum ihres Vasallenstaates. Eine Flotte an gecharterten Helikoptern transportiert sie zu ihren Zielen in der Stadt. Seit Jahren irrlichtern die Amerikaner durch das Land, pumpen kurzfristig Milliarden hinein, ziehen diese kurzfristig ab, nähren eine künstliche Ökonomie und lassen sie kollabieren. Sie werfen große Armeen in die Schlacht, um sie nur Monate später wieder zurückzuholen. Trump will in Afghanistan den "Islamischen Staat" bekämpfen, aber seiner Regierung fehlt jegliches Konzept.

Der diplomatische Einfluss Deutschlands ist so gering wie noch nie. Im Mai fällt das Gebäude der Botschaft einem Anschlag zum Opfer. Nur noch fünf Diplomaten sind im Land verblieben, sitzen in der US-Botschaft.

Und unser Militär?

Zehn Milliarden € flossen seit 2001 in seinen "Stabilisierungseinsatz". Es waren zu Spitzenzeiten 16.000 Soldaten, geblieben sind 980. Nur ein einziges Mal hat die Bundeswehr gekämpft, ein halbes Jahr in Kundus, wo sie sich als wenig gefechtsfähig erwies. US-Truppen haben sie rasch wieder abgelöst. Hochrangige afghanische Politiker spotten über die deutsche Armee. Dass sie zu kämpfen verlernt habe. Deutsche Kommandeure stellen die Sicherheit ihrer Soldaten über die Sicherheit des Landes. Mittlerweile haben sie sich in ihrem Camp bei Masar-i-Scharif völlig eingeigelt. Die meisten Soldaten sehen während ihrer Zeit keinen einzigen Afghanen. Unsere Offiziere, die den Krieg nur aus Simulationen und vom oberpfälzischen Truppenübungsplatz kennen, beraten den einheimischen Generalstab in Sachen Kriegsführung.
Alles, was der neuen CDU/SPD-Regierung einfiel: Wir schicken 300 weitere Soldaten nach Masar-i-Scharif. Sie sollen die deutschen Offiziere und Militärberater noch stärker beschützen. Die größte Verschwendung von Steuergeldern im neuen Bundesetat ist der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.

Wir sind der drittgrößte Geber ziviler Aufbauhilfe in Afghanistan. Kein Land hat in den letzten Jahren von Deutschland mehr Geld bekommen. Und es wurde viel Gutes getan. Es wurden Brücken gebaut, Brunnen gebohrt, Schulen errichtet. Doch mit all den Rekordsummen wurde das Land nicht sicherer gemacht. Humanitäre Hilfe löst keine bewaffneten Konflikte. "Wo die Straße aufhört, beginnt der Aufstand", sagte die Führung des US-Militärs vor zehn Jahren. Im Jahr 2018 heißt es: "Wo die Straße beginnt, fängt der Aufstand an." Allein die USA haben seit 2002 eine Billion $ in Afghanistan ausgegeben. Allein die Kleinstadt Faisabad im Nordosten des Landes hat vom deutschen Staat knapp eine Milliarde € erhalten – eine Milliarde € für 50 000 Einwohner!
Wir glaubten, uns die Afghanen kaufen zu können.
Ein Trugschluss. Studien, die die Wirkung westlicher Aufbauhilfe in den afghanischen Provinzen untersuchten, zeigen, dass nicht die Regierung von ihr am meisten profitiert hat, sondern die Taliban.





Doch in Berlin denkt niemand um. Eine Handvoll Außenpolitiker bestimmt seit Jahren die deutsche Afghanistanpolitik, und sie machen weiter wie bisher. Immer mehr Experten fordern von der Bundesregierung ein Innehalten, einen Kassensturz, es anderen Geberstaaten gleichzutun und ihre bisherige Entwicklungsarbeit von unabhängigen Instituten überprüfen zu lassen. Es wäre höchste Zeit. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zahlt auch dieses Jahr wieder über hundert Millionen € für Projekte, die deutsches Personal aus Sicherheitsgründen nicht in Augenschein nehmen kann. Wie die Bundeswehr hat sich die GIZ so gut wie ganz aus dem Land zurückgezogen, ihr Personal drastisch reduziert. Ihre Mitarbeiter bleiben nur noch wenige Tage am Stück in Kabul, bevor sie wieder nach Dubai ausgeflogen werden. Aus Sicherheitsgründen. Ihr einziger verbliebener Stützpunkt in Kabul liegt hinter meterhohen Schutzwällen. Die GIZ besitzt ein erfahrenes Team aus afghanischen Mitarbeitern, die sie, gefangen in ihrer Festung, allerdings kaum mehr kontrollieren kann.

Immer mehr geht der Sinn dafür abhanden, was vor Ort tatsächlich passiert. Lokale Expertise. Wissen, welche Veränderungen unser Geld wirklich auslöst. Geld wird in Ländern wie Afghanistan rasch zu Gift. Falsch platzierte Hilfe hat in diesem Land viele Konflikte angeheizt oder gar erst ausgelöst. Indem Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter abziehen, verlieren sie das Wichtigste: persönliche Kontakte, das Flechtwerk aus Vertrauen und Beziehungen, das die Arbeit dort erst möglich macht.

Der typische Krisenhelfer, der in Afghanistan vor Ort ist, arbeitet dagegen rund um die Uhr, ist jung, verfügt über keinerlei Kontakte, ist maximal ein Jahr lang auf seiner Stelle, wovon er nur ein halbes Jahr tatsächlich im Land verbringt. Er spricht keine der Ortssprachen. Er hat oft nur eine geringe kulturelle Vorerfahrung. Er ist vollkommen vom lokalen Team abhängig. Er hat keine Chance, mögliche politische Fehlentscheidungen und Korruption aufzudecken, wenn sich das Team bei Fehlern gegenseitig deckt. Der Krisenhelfer ist ganz mit der bürokratischen Dimension seiner Arbeit beschäftigt. Er darf so gut wie nie seine gesicherte Unterkunft verlassen. Jeder seiner Schritte ist durch nicht immer sinnvolle Sicherheitsregeln aus Deutschland reglementiert.

Sind wir also in Afghanistan wirklich am Ende? Afghanistan lässt sich nicht einfach mit einer Mauer einfrieden und isolieren. Wollen wir verhindern, dass das Elend und der Hass dieses Landes auch nach Deutschland geworfen werden, dass in den engen Tälern von Nangahar und Nuristan neue Radikalisierungsbewegungen aufkeimen, der Nachbar Pakistan in den Sog des Chaos gezogen wird und am Hindukusch erneut irgendwann die Supermächte aufeinanderprallen, können wir dem Problem Afghanistan nicht ausweichen. Früher oder später wird es uns einholen.

Klare Entscheidungen! Es geht dabei nicht um mehr Geld. Es geht um ein anderes Risikobewusstsein. Solange die Bundeswehr nicht wirklich mit ihren beschränkten Fähigkeiten in Afghanistan zu gebraucht ist, abziehen. In diesem Land sind nur kämpfende Truppen zu gebrauchen.

Ernsthaftigkeit. Wir erlagen in der Vergangenheit der Illusion, ein Land grundlegend umbauen zu können, das wir kaum verstehen. Bevor wir in Afghanistan etwas verändern, braucht es Veränderungen bei uns.
Unser Hilfssystem muss sich auf die neue Krise einstellen – nicht nur in Afghanistan, auch in vielen anderen Konflikten dieser Welt. Immer weniger sind staatliche Großorganisationen wie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fähig, ihrem politischen Auftrag in Krisengebieten nachzukommen. Vor zwei Jahren hat sie sich aus dem Südsudan zurückgezogen – weil auch dieses Land ihr zu gefährlich ist. Neues Sicherheitsbewusstsein. Wollen wir in Afghanistan Dinge verändern, dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen, wenn die Taliban Mitarbeiter entführen und auch töten. Die Deutschen sind bei den Taliban und dem IS dafür bekannt, dass sie bei Gewalt das Weite suchen. Das Generalkonsulat in Masar-i-Scharif sist seit einer Attacke geschlossen. Die GIZ hat nach der Entführung einer Mitarbeiterin sämtliche Büros und Gästehäuser in Kabul geschlossen. Angriffe gegen deutsche Einrichtungen haben sofort einen politischen Erfolg. Das macht sie aus Sicht der Taliban zu einem äußerst lohnenden Ziel. Sind wir als Gesellschaft zu diesen Opfern nicht bereit, haben wir in Afghanistan nichts zu suchen.
Neue Strukturen. Ausbildungsstätten für eine neue Generation von Krisenhelfern, die nicht nur Förderrichtlinien vermitteln, sondern Sprache und Kultur. Die DDR hat es vorgemacht. Deutscher Außenpolitik ist in Afghanistan gescheitert. Dringend brauchen wir eine neue – doch zuerst brauchen wir Mut: uns das Scheitern einzugestehen.



Zitat

In Afghanistan sollten die Taliban und Al-Qaida vertrieben werden. Beides ist misslungen. In 60 % der Distrikte sind die Taliban heute wieder präsent. Vor allem in den ländlichen Regionen. Die afghanischen Streitkräfte sitzen verunsichert in den Städten. Sie wissen, die Taliban können jederzeit zuschlagen. Anders als konventionelle Armen müssen Guerrillas nur überleben. Dann haben sie gewonnen. Der Westen oder die USA werden diesen Krieg nie gewinnen.

Zu Al-Qaida kam inzwischen noch der IS hinzu. Beiahe täglich gibt es in Afghanistan Anschläge mit Toten und Verletzten. Weit über 100.000 Menschen wurden durch den Krieg in Afghanistan getötet. Den Afghanen geht es so schlecht wie früher. Es gibt sogar mehr Armut als vorher. In kaum einem Land der Welt leiden so viele Kinder unter fünf Jahren an schwerster Mangelernährung. Bei der Säuglingssterblichkeit liegt Afghanistan laut CA weltweit auf Platz eins. Korruption, Drogenproduktion und Kriminalität sind explodiert.

Ende 2018 lagen die aufgelaufene Militärausgaben der USA für Afghanistan zwischen 800 Milliarden und 2 Billionen $. Mit diesem Geld hätte man das Land zu einem gesunden und wohlhabende Staat entwickeln können. Zu einem Musterstaat kluger amerikanischer Außenpolitik. Zu einem Freund. Der Terrorismus hätte keine Chance mehr gehabt. Die USA machten das genaue Gegenteil.

Ex-Präsident Hamid Karzai sagte der Washington Post in einem zornigen Interview: "Die Afghanen starben in einem Krieg, der nicht unser Krieg war. Wie kann das unser Krieg sein, wenn ein US-Flugzeug einen Lastwagen bombardiert, der eine Familie transportiert. Würden Sie das in Amerika tun? Würden sie in einem amerikanischen Dorf zur Bekämpfung eines Terroristen eine Familie in Grund und Boden bomben? Richten Sie dem amerikanischen Volk meine Grüße aus. Und der US-Regierung meine Wut, meine extreme Wut."

Inzwischen bemühen sich die USA und die afghanische Regierung fast verzweifelt darum, die Taliban zu überzeugen, doch bitte bald in die Regierung einzutreten. Nach über 17 Jahren Krieg!

Trotz all dieser Katastrophen stimmen im Bundestag fast alle Parteien jedes Jahr für ein weiteres militärisches Engagement in Afghanistan. Einzige Ausnahme: Die Linke. Bei allen anderen Parteien frage ich mich: Wie kann man 17 Jahre lang strategisch so falsch liegen und trotzdem weitermachen?

Nur ein Ziel haben die USA erreicht. Zumindest glauben sie das. Sie haben in Afghanistan vier große Luftwaffen-Stützpunkt gebaut. In Bagram, Kandahar, Schindand und Helmand. Von hier aus können sie ihre künftigen Kriege in Asien und im mittleren Osten führen. Von hier aus starten viele ihrer Drohnen zu tödlichen Missionen. Ein Teil der in Afghanistan verbliebenen 14.000 US-Soldaten wird zum Betrieb und Schutz dieser Militärbasen eingesetzt. Und nicht etwa zur Ausbildung oder zum Training afghanischer Truppen.

Aus Sicht der USA ist die Zahl der Bodentruppen militärstrategisch leicht reduzierbar. Hauptsache, sie behalten mindestens zwei ihrer großen, militärisch gesicherten Luftwaffenstützpunkte. Und Afghanistan bleibt ihr "landgestützter Flugzeugträger" in Asien. Mussten dafür weit über 100 000 Afghanen und fast 3 500 westliche Soldaten sterben? Auch deutsche Soldaten? Starben dafür die Kinder von Kundus?

Der Afghanistankrieg bleibt ein Krieg der Lügen und der Heuchelei. Das Land am Hindukusch, dem der Westen angeblich Frieden und Freiheit bringen wollte, wird zur zentralen Drehscheibe amerikanischer Bombenkriege in Asien. Falls die Taliban dies auf Dauer zulassen. Was ich sehr bezweifle.

Jürgen Todenhöfer: Die große Heuchelei



2019







Kann man davon leben?



August 2021

Norbert Röttgen:

Warnung vor einem internationalen »Desaster«
In Afghanistan bestehe die Gefahr, dass die Islamisten das ganze Land eroberten, einschließlich der Hauptstadt Kabul, sagte der CDU-Politiker am Sonntag der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«: »Es darf jetzt nicht zugelassen werden, dass sie militärisch einseitig Fakten schaffen.« Dann bestünde auch keine Aussicht mehr auf eine politische Lösung.
»Wenn es also militärische Fähigkeiten der Europäer, auch der Deutschen, gibt, die jetzt benötigt würden, dann sollten wir sie zur Verfügung stellen.« Röttgen appellierte an die internationale Gemeinschaft, insbesondere US-Präsident Joe Biden, den Vormarsch der Taliban zu stoppen – aus Verantwortung für die eigene Sicherheit und die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung. Dies könne auch eine Beteiligung der Bundeswehr bedeuten.
Die Ergebnisse von 20 Jahren dürften nicht zunichtegemacht werden, sagte er. »Wenn es also militärische Fähigkeiten der Europäer, auch der Deutschen, gibt, die jetzt benötigt würden, dann sollten wir sie zur Verfügung stellen«. Gegenwärtig gehe es offenbar vor allem darum, den Vormarsch der Taliban durch Luftschläge zu stoppen. Damit hätten die Amerikaner ja bereits begonnen, so Röttgen.
In Kundus hatte die Bundeswehr rund ein Jahrzehnt lang einen Stützpunkt betrieben. Von 2003 bis 2013 überwachten deutsche Soldaten vom Feldlager aus die Sicherheit im Norden des Landes. Am Sonntag eroberten die Taliban die Provinzhauptstadt – es ist einer ihrer wichtigsten Erfolge, seit die internationalen Truppen mit ihrem Abzug begonnen haben. Die Islamisten hätten die wichtigsten Regierungseinrichtungen der Stadt übernommen, bestätigten drei Provinzräte am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. »Die Leute von der Regierung sind geflohen. Die Taliban haben Häftlinge aus dem Gefängnis entlassen. Wir haben weder Wasser noch Strom«, berichtete Anwohner Schekib Salarsai. »Die Straßen sind gesperrt. Keiner kann die Verletzten in die Krankenhäuser bringen.« Die Polizisten hätten ihre Waffen niedergelegt und liefen in ziviler Kleidung herum. Seine Nachbarn seien dabei, ihre Sachen zu packen.



Provinzrat Amruddin Wali sagte der Nachrichtenagentur, Sicherheitskräfte und Regierungsvertreter hätten sich in das ehemalige deutsche Feldlager am Rande des Flughafens zurückgezogen. Die Regierung halte nur noch ein Gebiet rund um den Flughafen und diese Basis. Am Sonntagnachmittag Ortszeit dauerten die Gefechte rund um den Flughafen an. Kundus ist ein wichtiges Handelszentrum nahe der Grenze zum Nachbarland Tadschikistan. Die Taliban hatten die Stadt bereits 2015 und 2016 kurzzeitig eingenommen. Beide Male wurden die Islamisten durch US-Luftangriffe zurückgedrängt. Auch momentan fliegen die USA Luftschläge.
Die US-Truppen sind jedoch praktisch schon abgezogen. In weniger als drei Wochen endet die US-Militärmission offiziell. Bisher gab es noch kein Zugeständnis der USA, die afghanischen Sicherheitskräfte auch danach gegen die Taliban zu unterstützen. Am Sonntag war zunächst unklar, ob Regierungskräfte in einer großen Aktion versuchen würden, Kundus zurückzuerobern.
Seit dem Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen Anfang Mai haben die Taliban in mehreren Offensiven massive Gebietsgewinne verzeichnet. Sie eroberten zudem mehrere Grenzübergänge. Kundus ist bereits die vierte Provinzhauptstadt, die von den Islamisten binnen drei Tagen erobert wurde. Am Freitag war schon Sarandsch in Nimrus an der iranischen Grenze gefallen – praktisch kampflos. Am Samstag folgte Schiberghan in Dschausdschan im Norden. Fast zeitgleich mit Kundus nahmen die Islamisten Sar-i Pul ein, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden.
Die USA hatten die »neue gewaltsame Offensive der Taliban gegen afghanische Städte« bereits am Samstag verurteilt. Das Auswärtige Amt sieht nun eine zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage. Die Situation entwickle sich rasant, sagte ein Ministeriumssprecher am Sonntag in Berlin. Die Taliban versuchen nun offenbar, ihren Vormarsch fortzusetzen. Sie drangen lokalen Medienberichten zufolge ins Zentrum von Talokan vor, der Hauptstadt der Provinz Tachar, die an Kundus grenzt.





In Afghanistan herrscht Bürgerkrieg
06.08.2021

Es ist genau fünf Wochen her, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen ist und das militärische Engagement Deutschlands am Hindukusch damit sein Ende fand. Doch man muss die Nachrichten seither nicht einmal sehr aufmerksam verfolgt haben, um zu wissen: Wir werden Afghanistan nicht los - auch nicht als Thema in der deutschen Innenpolitik. Denn zwei Fragen bleiben offen.
Zum einen: Was geschieht mit denjenigen, die für die Deutschen gearbeitet haben - und die nun zurecht Angst haben vor der Rache der anrückenden Taliban? Es gibt zwar ein sogenanntes Ortskräfteverfahren, durch das diejenigen Afghanen Visa bekommen können, die einen Arbeitsvertrag unmittelbar mit der Bundeswehr hatten. Doch das Verfahren ist kompliziert und vor allem: Es schließt diejenigen aus, die nicht unmittelbar bei der Bundeswehr angestellt waren, sondern bei Subunternehmen. Die Bundesregierung zeigt sich hier hartleibig. Nicht erstaunlich, denn bald sind Bundestagswahlen und da soll die Zahl der Einwanderer möglichst kleingehalten werden. Deshalb fehlt ganz offenbar der politische Wille, allen Menschen ein Aufnahmeangebot zu machen, denen aufgrund ihrer Arbeit für die Deutschen Gefahr drohen könnte.
Und dann gibt es die Frage, ob man abgelehnte, oft straffällig gewordene Asylbewerber derzeit nach Afghanistan abschieben darf. Afghanistan sei ja nicht überall unsicher, heißt es dann. Nach Kabul zumindest, in die Hauptstadt, könne man diese Menschen doch tatsächlich bringen. Auffällig ist, dass von den Befürwortern der Abschiebungen der Begriff "Bürgerkrieg" tunlichst vermieden wird. Kein Wunder, denn sonst müsste man sich eingestehen, dass man in ein Bürgerkriegsland gar nicht abschieben darf - siehe Syrien.
Überhaupt "Bürgerkrieg": Dieses Wort hört man im Zusammenhang mit der augenblicklichen Lage in Afghanistan noch recht selten. Der ehemalige US-Oberkommandierende im Land sagte vor zwei Wochen sogar, er glaube gar nicht, "dass es zwangsläufig zu einem Bürgerkrieg in Afghanistan kommen wird". Um es klar zu sagen: Das ist ein Bürgerkrieg. Zitat Duden: Ein Bürgerkrieg ist eine "zwischen verschiedenen (politischen) Gruppen innerhalb der eigenen Staatsgrenzen ausgetragene bewaffnete Auseinandersetzung."
Ungefahr 75.000 Taliban - mehr oder minder schwer bewaffnete, gut organisierte und vor allem hochmotivierte Kämpfer - greifen die afghanischen Sicherheitskräften an, 300.000 an der Zahl, aber mit sehr unterschiedlicher Bewaffnung und Kampfbereitschaft. Es gibt Kämpfe im ganzen Land, auch mit schweren Waffen. Zivilisten werden vertrieben, als menschliche Schutzschilde missbraucht, traumatisiert, verletzt, viele sterben. Was, bitteschön, soll das anderes sein als ein Bürgerkrieg?
Dieser Bürgerkrieg ist das desaströse Abschlusszeugnis für ein zwanzigjähriges internationales Engagement, das nun mit wortreichen Erklärungen auch aus Deutschland schöngeredet werden soll. Wenn es heißt, man werde sich weiter in Afghanistan diplomatisch und wirtschaftlich engagieren, klingt das in den Ohren der Afghanen wie Hohn. Und vor allem in denen der Afghaninnen übrigens - denn ihnen droht im künftigen Afghanistan die fast vollkommene Entrechtung.
Das Land - dazu muss man kein Hellseher sein - wird in einigen Monaten, vielleicht auch erst in ein, zwei Jahren, ein vollkommen anderes sein. Und zwar nicht eines, wie man sich es in Berlin, London und Washington wünscht - mit allen an einem Tisch, auch den bis dahin domestizierten, "gemäßigten" Taliban. So eine Regierung wird es nicht geben, sie ist Fiktion.
Afghanistan wird ein Islamisches Emirat sein, ein Taliban-Staat. Nichts anderes wollen die Radikalislamisten. Sie haben dazu die militärische Macht, und es wird bald keiner mehr da sein, der sie wirklich aufhalten kann. Die Menschen, die seit Tagen in Kabul und anderen Städten auf die Straße gehen, um gegen die Taliban zu protestieren - sie werden bald nur noch die Wahl haben, den neuen Staat zu ertragen oder das Land zu verlassen.Und hier sind wir flugs wieder bei der deutschen Innenpolitik, denn nicht wenige der Menschen wollen nach Deutschland. Deshalb wird sich uns dann die Frage stellen: Was tun mit den Flüchtlingen, den Zehntausenden, vielleicht bald Hunderttausenden? Eine einfache Antwort darauf wird es nicht geben - egal wer künftig im Kanzleramt sitzt. Denn das ist klar: Der gesamte Westen hat in Afghanistan seine Glaubwürdigkeit verspielt. Und deshalb werden auch wir Afghanistan nicht los.

Peter Hornung, ARD-Studio Neu Delhi